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Zebra Journal: Interview mit Alfred Gislason

Bundesliga

Zebra Journal: Interview mit Alfred Gislason

An die 26:29-Niederlage seines THW Kiel bei den Rhein-Neckar Löwen, die in der vergangenen Saison eine atemberaubende Aufholjagd in der Handball-Bundesliga auslöste, hat Trainer Alfred Gislason noch beste Erinnerung. Im Journal-Interview spricht er mit Wolf Paarmann auch über den Abschied von Wael Jallouz und seine Hoffnungen, dass die Stadt Kiel den Verein dabei unterstützt, Trainingsbedingungen zu bekommen, die eines Rekordmeisters würdig sind.

Herr Gislason, können Sie sich noch an die 26:29-Niederlage bei den Löwen in der Schlussphase der vergangenen Saison erinnern?

Klar, wir hatten bis dahin eine gute Phase in der Saison gehabt, doch unmittelbar vor dem Spiel lag eine Länderspielpause. Filip (Jicha, d. Red.) hat fünf Tage lang mit einer Grippe im Bett gelegen, er war gegen die Löwen nicht fit, und es fehlten mir damals die entsprechenden Alternativen.
Am Ende des Spiels, in dem Ihre Mannschaft letztlich chancenlos war, gab es noch zwei Auszeiten. Eine haben Sie genommen, eine Gudmundur Gudmundsson – bei einer Löwen-Führung von 29:22…
…ich weiß noch, dass ich in unserer Auszeit der Mannschaft gesagt habe, dass jetzt jedes Tor wichtig ist. Dann tat mir mein Landsmann den Gefallen, am Ende auch noch eine zu nehmen. Anschließend haben wir bis zum Abpfiff noch vier Tore geworfen, die Löwen keins. Diese vier Tore hätte er sicher gerne behalten (Der THW wurde mit zwei Toren Vorsprung auf die punktgleichen Löwen Meister, d. Red.).
Nach dem Spiel waren der THW und die Löwen punktgleich, Ihre Mannschaft hatte das deutlich schlechtere Torverhältnis. Haben Sie zu diesem Zeitpunkt noch an die Meisterschaft geglaubt?
Ja, ich habe anschließend in der Kabine eine Beleidigungsstunde abgehalten, weil mir die Leistung meiner Mannschaft nicht gefallen hat. Am Ende habe ich aber auch gesagt, dass wir es noch schaffen können, wenn wir jedes Spiel im Schnitt mit 15 Toren gewinnen.
Haben Sie nachgezählt?
Nein, aber einer meiner Spieler kam später zu mir und fragte mich, ob ich wüsste, mit welchem Schnitt sie die letzten fünf Spiele gewonnen hätten. Ich wusste es nicht, er schon – es waren 16 Tore.
Drei Tage nach der Löwen-Niederlage lieferte der THW beim 31:21-Sieg im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League bei Metalurg Skopje eines seiner besten Saisonspiele ab. Wie erklären Sie sich das?
Ein Sponsor spendierte jedem Spieler vorher neun Kilogramm Fisch (lacht). Ein Faktor war natürlich, dass die Mannschaft nach der Niederlage gegen die Löwen sehr eng zusammengerückt ist. Außerdem war Filip (Jicha, d. Red.) wieder fit.
Stimmt es, dass Sie nach dem Sieg den Überblick darüber verloren hatten, wie weit Ihre Mannschaft in der Champions League mittlerweile gekommen war?
Ja, ich dachte, wir müssten nach Skopje noch einen Gegner schlagen, um uns für das „Final4“ in Köln zu qualifizieren. Sabine (Holdorf-Schust, Geschäftsstellen-Leiterin, d. Red.) musste mich darauf hinweisen, dass bereits eine Neun-Tore-Niederlage im Rückspiel reichen würde, um in Köln zu sein.
Waren Sie überlastet?
Nein, das ist in dieser Phase der Saison normal, ich habe in einem Tunnel gelebt und nur von Spiel zu Spiel gedacht.
Entstand in Skopje der Wunsch, sich mit Jörn-Uwe Lommel von einem Co-Trainer unterstützen zu lassen?
Nein, den Wunsch hatte ich schon vor zwei Jahren. Damals hatte ich die Idee, mit Daniel Kubes zu arbeiten. Für mich ist nur ein Co-Trainer eine Hilfe, der meine Arbeitsweise kennt und mich sofort entlasten kann. Kubes wollte aber lieber noch ein bisschen Handball spielen (Er wechselte am Saisonende zur MT Melsungen und ist nun Trainer des Zweitligisten TV Emsdetten und der tschechischen Nationalmannschaft, d. Red.). Jörn hatte Zeit, außerdem kennen wir uns aus gemeinsamen Zeiten beim TuSEM Essen sehr gut.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie im Urlaub hörten, dass der HSV Hamburg die Lizenz doch noch erhalten hat und die Liga nun 19 Vereine umfasst?
Ich habe mich für den HSV gefreut, dieser Verein ist wichtig für den Handball und die Liga. Außerdem kenne ich einige Spieler wie Jogi Bitter sehr gut, für die hat es mich auch gefreut. Ich kann verstehen, dass Balingen in der Liga bleiben will, aber 19 Vereine sind zu viel. Ich würde mir wünschen, dass die Statuten der Liga klarer sind, eine solche Situation darf sich nicht wiederholen. Da muss ein Riegel vorgeschoben werden.
Ein Zwangsabstieg des HSV hätte aber zur Folge gehabt, dass der THW mit Jogi Bitter einen Nationaltorhüter hätte verpflichten können…
…das war für mich kein Thema. Er hätte sofort einen Job gebraucht, und wir haben ja zwei Torhüter. Außerdem liefen die Verhandlungen mit Niklas Landin (RN Löwen, d. Red.) schon, er war der Torwart, den ich haben wollte.
Wann haben Sie entschieden, nicht mehr weiter mit Wael Jallouz zu arbeiten, der inzwischen zum FC Barcelona gewechselt ist?
Erst am Saisonende, Barcelona hat immer wieder angerufen, der Verein wollte ihn wirklich haben. Ich hatte immer einen direkten Draht zu Sead Hasanefendic, seinem tunesischen Nationaltrainer. Wir haben lange darüber diskutiert, was für ihn das Beste ist. Er muss viel spielen, aber angesichts unserer aktuellen Personaldecke war klar, dass seine Spielzeiten in dieser Saison gegen Null tendieren würden. Vor ihm hätten dann fünf Rechtshänder gestanden…
Sind Sie enttäuscht von ihm?
Nein, er hat ein riesiges Potenzial, und ich glaube fest daran, dass er den Durchbruch noch schaffen kann. Aber es war sehr schwer für ihn, in eine Liga zu kommen, in der Taktiken sehr genau gespielt werden müssen. Er kannte das bis dato nicht, in seinem alten Verein reichte es, hoch springen und hart werfen zu können.
Im Saisonfinale haben Sie ihn gar nicht mehr eingesetzt, hat er den Druck auch nervlich nicht mehr ausgehalten?
Ich hatte am Ende nur zwei Optionen: Meister werden, oder weiter an der Entwicklung von Wael zu arbeiten. Wenn er eingewechselt wurde, verkrampfte er immer sofort, obwohl er tags zuvor im Training noch weltklasse gewesen war. Irgendwann wurde dann auch seine Rolle in der Mannschaft schwierig, schließlich konnte er ihr gar nicht helfen. Bis zu einem gewissen Punkt haben alle Geduld mit den Neuen, aber irgendwann müssen die dann auch liefern.
Mit Aron Palmarsson geht nun ein Spieler im Juli 2015 zu MKB Veszprem, den Sie als 18-Jährigen zum THW geholt haben…
…ich habe Verständnis für seine Entscheidung. Aber enttäuscht hat sie mich natürlich auch.
Haben Sie sich dagegen gewehrt, ihn vorzeitig gehen zu lassen?
Ja, ich habe ihm immer gesagt, dass er erst nach Ablauf seines Vertrages (läuft bis Juli 2015, d. Red.) gehen kann. Ich will nicht auf ihn verzichten. Er ist ein Weltklasse-Spieler, der nun in seine sechste Saison beim THW geht. Er kennt alle Taktiken, ich brauche ihn. Ich bin mir sicher, dass er dieses Jahr noch voll durchziehen wird.
Was machen Sie, wenn Aron in zwei Jahren anruft und wieder für den THW spielen will?
Wenn ich dann einen Platz im Kader für ihn habe, kann er gerne zurückkommen.
Haben Sie Joan Cañellas verpflichtet, weil unklar war, dass Palmarsson bei einer hohen Ablösesumme nicht doch vorzeitig den Verein verlässt?
Ja, es hätte durchaus sein können, dass wir am Ende ohne Joan und Aron in die Saison starten, das wollte ich nicht. Joan ist ein super Handballer und durch die Probleme beim HSV gab es die Chance, ihn für eine Ablösesumme aus seinem Vertrag zu holen. Außerdem war Aron aufgrund seiner Knieprobleme in der vergangenen Saison öfters verletzt, wir brauchten angesichts dieser Termindichte Ersatz. Zumal Rasmus Lauge (Reha nach Kreuzbandriss, d. Red.) auch frühestens erst wieder im Oktober zur Verfügung steht. Wir brauchten einen wie Joan, der ein sehr kompletter Handballer ist.
Mit Thorsten Storm hat der THW auch einen neuen Manager…
…ich freue mich darüber, dass er zu uns kommt. Es war klar, dass Uwe (Schwenker, Ex-Manager, d. Red.) nicht zum THW zurückkehren würde, dieser Verein braucht aber auf dieser Position einen, der das Geschäft versteht. In der Liga ist Thorsten Storm mit Sicherheit der Beste! Mehr möchte ich zu diesem Thema aber nicht mehr sagen.
Ein neuer Manager, erstmals ein Co-Trainer – sind Sie mit den Rahmenbedingungen zufrieden?
Das sind auf jeden Fall Maßnahmen, die meine Karriere verlängern könnten (lacht). Was ich mir aber von Herzen wünsche, ist, dass die Stadt einen Verein wie den THW Kiel viel mehr unterstützt. Die Trainingsbedingungen, die wir derzeit haben, sind eines Rekordmeisters absolut unwürdig. Da spielen der SC Magdeburg und die Rhein-Neckar Löwen in einer ganz anderen Liga als wir.
(Das Gespräch führt Wolf Paarmann, aus dem "Zebra Journal" der Kieler Nachrichten vom 23.08.2014)