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KN-Interview: “Ich habe nichts anderes vor als Erfolg”

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KN-Interview: "Ich habe nichts anderes vor als Erfolg"

Straßburg. Er hat aus den deutschen Handball-Nationalspielern die "Bad Boys" gemacht, sie im Januar in Polen zum Europameister-Titel geführt. "Wir sind auf einem guten Weg, aber Image gewinnt keine Spiele", sagt Dagur Sigurdsson am Rande des "EuroTournoi" im Gespräch mit den Kieler Nachrichten. Der 43-Jährige sieht noch "Baustellen auf jeder Position" vor dem Start der Olympischen Spiele in zwei Wochen in Rio de Janeiro. Und wenn der Bundestrainer eines hasst, dann ist es Verlieren. Nach der Niederlage in Straßburg gegen Dänemark (19:25) flogen in der Kabine ganz schön die Fetzen.

Sigurdsson über die "Bad Boys", Taktik und Zebras im Nationalteam

KN: Von Dämpfern und Warnschüssen auf dem Weg zum großen Erfolg halten sie gar nichts, oder?
Dagur Sigurdsson: Nein, überhaupt nichts. Ich will jedes Spiel gewinnen, das ist immer mein Prinzip. Je mehr Spiele man gewinnt, desto größer ist die Chance auf Erfolg. Das hat ganz viel mit Selbstbewusstsein zu tun. Von den selbstbewussten "Bad Boys" war in Straßburg zunächst nicht viel zu sehen. Ist das neue Image schon wieder verflogen?
Zuerst einmal: Image gewinnt keine Spiele. Und: Die "Bad Boys" sind schon fast zwei Jahre alt, ich habe das schon in meiner ersten Mannschaftsbesprechung aufgebracht in Anlehnung an die Detroit Pistons (die 1989 und 1990 mit viel physischer Härte NBA-Champion wurden und fortan "Bad Boys" genannt wurden, d. Red.). Jetzt sind die "Bad Boys" allerdings keine Außenseiter mehr wie bei der EM, sondern gehen als Europameister und damit als einer der Favoriten ins Olympia-Rennen. Kann der EM-Erfolg auch hemmen?
Nein, Erfolg ist schön. Und EM-Gold kann uns keiner mehr nehmen. Aber es ist weiterhin ein ständiger Kampf, besser zu spielen, stabiler zu werden und den richtigen Rhythmus zu finden. Da stecken wir gerade mittendrin. Aber eine andere Rolle müssen und werden wir ganz bestimmt nicht spielen. Denn wenn ein Spiel angepfiffen wird, spielt es keine Rolle, ob wir Europameister sind. Mit dem Kieler Steffen Weinhold, der an einem Muskelfaserriss laboriert, fährt einer Ihrer Weltklasse-Spieler nur als Ersatzmann mit nach Rio ...
Ich wollte ihn - genau wie Steffen Fäth –-unbedingt dabei haben, weil wir mit der großen Entfernung sonst nur schwer reagieren könnten, wenn sich ein Spieler verletzt. Aber erst einmal plane ich mit meinem 14-Mann-Kader. Ist der Spielaufbau, die Position in der Rückraum-Mitte, durch die Verletzung von Steffen Fäth (Handbruch, d. Red.) zur größten Baustelle geworden? Drux und Strobel konnten die Fußstapfen von Fäth in Straßburg zumindest nicht ausfüllen.
Fäth war bei der EM in Polen wahrscheinlich unser bester Spieler insgesamt. Das gleiche kann man sagen über Steffen Weinhold bei der WM 2015 in Katar. Die beiden fehlen uns sehr, das ist gar keine Frage. Aber auf der anderen Seite war Paul Drux über einen langen Zeitraum und besonders bei der WM 2015 sehr stark, und Martin Strobel hat jetzt bei zwei Turnieren in Folge gut gespielt. Genauso kam Julius Kühn auf Halblinks am Ende der EM und konnte Christian Dissinger gut vertreten. Auf jeder Position sehe ich noch eine Baustelle, jeder Bereich ist eine kleine Baustelle: Man will immer eine kompaktere Abwehr spielen, wünscht sich noch mehr Leistung von den Torhütern, will bessere Gegenstöße laufen, einen besseren Rhythmus im Angriff haben und mit einer noch clevereren Taktik spielen. Das ist unser Job. Apropos Taktik: Welche Auswirkungen haben die neuen Regeln?
Man sieht in den Testspielen, dass alle Mannschaften mindestens mit dem siebten Feldspieler experimentieren, auch wenn die 7:6-Regel nicht ganz neu ist. Aber ich denke, dass die meisten Mannschaften dieses Mittel eher als Notfallplan einsetzen werden. Es ist nur eines von vielen taktischen Mitteln. Ihr Kollege Alfred Gislason, Trainer des THW Kiel, hat die neuen Regeln eine "Sabotage an der Sportart Handball" genannt ...
Es wird auf Kosten der Schönheit gehen. Ein schönes Handballspiel ist für mich eines, in dem sich sechs gegen sechs Feldspieler gegenüberstehen. Sowohl in taktischer als auch in individueller Hinsicht. Für THW-Linksaußen Rune Dahmke war die Nicht-Nominierung eine große Enttäuschung, schließlich hatte er gerade geholfen, Europameister zu werden. Welche Botschaft hat der Bundestrainer für einen jungen Spieler wie Dahmke?
Das war natürlich traurig für ihn, und ich habe ihm gesagt, dass er es mehr als verdient gehabt hätte, dabei zu sein. Es hat ihn hart getroffen, denn wir haben uns taktisch so entschieden, dass ein Abwehrspezialist auf seine Kosten mitkommt. Das gilt übrigens nicht nur für Rune, sondern auch für zehn, 15 weitere Akteure, die eine Nominierung verdient gehabt hätten. Rune hat alles Recht, traurig zu sein. Aber er ist jung, ein vernünftiger Junge. Er wird in der Zukunft eine große Rolle bei uns spielen. Welche Rolle spielt Zebra Patrick Wiencek in der Deckung?
Er hat eine zentrale Rolle in der Abwehr und im Angriff. Das ist doch ganz normal, oder? Diese Rolle hat er in Kiel und bei uns schließlich schon seit mehreren Jahren. Wovon lässt sich Dagur Sigurdsson in seinem Job als Bundestrainer inspirieren?
Es muss nicht immer Handball oder Sport sein. Ein Gespräch mit einer Führungskraft aus der Wirtschaft kann ebenso bereichernd sein wie ein Gespräch mit einem anderen Trainer. Auch Kreativität in der Kunst ist für mich sehr interessant und inspirierend. Ich schaue da sehr gern über den Tellerrand. Vor der EM haben Sie Ihre Spieler in den Boxring gebeten. Wird es vor Olympia eine ähnliche Teambuilding-Maßnahme geben?
Im Juni am Chiemsee waren wir im Kletterwald und waren mit den Mountainbikes unterwegs. Und wo haben Sie selbst Kraft für Rio geschöpft?
Ich war kurz auf Island, habe anschließend das Spiel der Isländer bei der Fußball-EM in Frankreich gegen Portugal gesehen. Der Auftritt der Isländer war für das ganze Land eine richtig tolle Geschichte. Wurden Ihre Kinder auch von dem Fußball-Hype angesteckt, oder gibt es für Siggi (13), Birta (16) und Sunna (18) nur den Papa-Hype?
Birta ist jetzt Trainerin der E-Fußballmädchen, und Siggi spielt in der E-Jugend von Tennis Borussia Berlin. Meine Kinder fiebern insgesamt schon mit, aber sie sind eher gelassen, müssen nicht bei jedem Spiel vor dem Fernseher sitzen, wenn Papa irgendwo im Einsatz ist. Ein kurzer Blick in die Zukunft: Was haben Sie noch vor mit der Mannschaft, abgesehen vom Erfolg?
Abgesehen? Nichts anderes als Erfolg habe ich mit der Mannschaft vor. Was jetzt zählt, ist, so viele Spiele wie möglich in Rio zu gewinnen. Die Mannschaft hat ihren Charakter seit der EM nicht verändert. Es sind noch immer die "Bad Boys". Das ist gewachsen, das bleibt. (Das Interview führte Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 26.07.2016, Foto: Archiv/Sascha Klahn)