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KN-Interview mit Gislason: “Die Kritik ist völlig berechtigt”

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KN-Interview mit Gislason: "Die Kritik ist völlig berechtigt"

Kiel. Same procedure as every year: Nach der Saison zieht es Alfred Gislason, Trainer des Handball-Rekordmeisters THW Kiel, erst einmal in seinen Garten in Wendgräben bei Magdeburg. Der 57-jährige Isländer hat die Erholung besonders nötig. Vor seiner Abreise in den verdienten Sommerurlaub zieht er im Interview mit den Kieler Nachrichten Bilanz, sagt: "Das war auf jeden Fall die anstrengendste Saison in meiner Zeit in Kiel."

Sommer-Interview über seine anstrengendste Saison beim THW

Herr Gislason, es war eine schwierige Saison, ihre Mannschaft befindet sich im Umbruch. Ist der THW weiter auf dem richtigen Weg oder war sie ein Rückschritt?
Überhaupt nicht. Man kann sogar sagen: Das Gute an dieser Saison ist, dass sich durch die vielen Verletzungen der erfahrenen Leute unheimlich viele Chancen für junge Spieler ergeben haben. Ich denke, dass sich das in der nächsten Saison auszahlen wird. In gewisser Weise ist dieser Prozess abgeschlossen, da brauchen wir dann mehr Stabilität. Dann ist der Umbruch vorbei. Was ist Ihnen in dieser Spielzeit besonders positiv aufgefallen?
Ganz sicher der junge Nikola Bilyk, die beiden Torhüter kamen gut rein, haben sich sehr gut verstanden - Landin ist in diesem Jahr deutlich stabiler geworden, Wolff hat auch sehr gut gehalten. Patrick Wiencek hat sich sehr weiterentwickelt, ist ein echter Führungsspieler geworden. Er ist der Spieler der Saison, oder?
Ganz ehrlich? Er hätte es verdient gehabt, zum Spieler der Saison in der Bundesliga gewählt zu werden, denn er hat offensiv wie defensiv einen Schritt nach vorn gemacht. Am Ende hat er sogar in unserer 3:2:1-Deckung hinten in der Mitte gespielt, das hat er richtig gut gelöst, hat so gut wie jeden Monat nochmal zugelegt. Niclas Ekberg und Marko Vujin waren die Top-Scorer ...
Niclas Ekberg war sehr stabil wieder einmal, nur am Ende war die Luft etwas raus. Marko hat sich in der Rückrunde gesteigert, seinen Schnitt wieder nach oben gebracht. Aber in der Hinrunde war er natürlich weit von seiner Form entfernt. Ich glaube, er schließt die Saison vier Kilogramm leichter ab als im Dezember, hatte im vergangenen Sommer nicht gut auf sich aufgepasst. Aber er war sehr verlässlich in der Rückrunde. Und von außen wird viel über ihn geschimpft, aber er hat in den letzten drei Jahren nur ein einziges Spiel verpasst. Gab es Enttäuschungen?
Drei ganz erfahrene Leute - Steffen Weinhold, Domagoj Duvnjak, René Toft Hansen - waren so gut wie nie gesund, nie gleichzeitig da. Das ist vielleicht eine Erklärung für die Riesenschwankungen in unseren Leistungen. Wir hatten durch die Olympischen Spiele kaum Vorbereitung. Da hätte ich mir gewünscht, dass der eine oder andere mehr auf Einsätze in der Nationalmannschaft verzichtet. Aber auch ein Raul Santos hat sicher hier bei uns nicht zu seinem Spiel gefunden. Das heißt, dass der THW eher auf der Suche nach einem gestandenen Linksaußen als nach einer Notlösung für die Dauer der Verletzung von Santos ist?
Ja . Raul muss jetzt erst einmal gesund werden. Wir kriegen mit Miha Zarabec einen klassischen Spielmacher hinzu, der jedoch nur auf Außen decken kann. In dieser Konstellation wäre es also wichtig, dass wir auf beiden Seiten Außen haben, die auf Halb decken können. Und mit Ole Rahmel auf Rechtsaußen haben wir so einen. Es gab viel Kritik an der Spielweise des THW.
Dass die Spielweise ab und zu grausam war, weiß ich auch. Das klappt eben nicht per Knopfdruck, und für eine attraktive Spielweise braucht man Leute, die die Spiele leiten. Und wenn wir die nicht haben... Ein typisches Beispiel war das letzte Spiel in Balingen: Mit Bilyk, Dissinger und Lackovic hat es überhaupt nicht geklappt, Weinhold hat das Spiel dann mit seiner Erfahrung gedreht. Aber auch mit Duvnjak gab es nicht nur gute Spiele.
Das stimmt, aber bei welcher Mannschaft ist das schon so? Da draußen sind immer noch viele Mannschaften, die trotzdem unsere Spielweise kopieren wollen. Es sollte hinter Duvnjak eigentlich kein Vakuum geben. Uns war das Risiko bewusst: Wir brauchten unbedingt, dass Toft Hansen, Duvnjak und Weinhold - auch als zweiter Spielmacher - fit bleiben. Dann hätten wir unserer Struktur im Spiel gehabt. Ich hätte nie gedacht, dass ich in wichtigen Spielen auf Bilyk setzen muss. So schwarz hätte ich gar nicht malen können, dass davon auszugehen ist, dass sich dann Toft, Duvnjak und Weinhold alle drei verletzen. Dann ging die ganze Bastelarbeit wieder los. Ich musste vielen Spielern Pause geben, und die anderen aus der zweiten Reihe haben so ein grausames Spiel gezeigt wie zu Hause gegen Silkeborg. Gibt es - wenn Weinhold zunächst während der Verletzung von Duvnjak als zweiter Spielmacher eingeplant ist - stattdessen jetzt ein Vakuum auf Halbrechts?
Wenn Vujin weiterhin den Alleinunterhalter geben muss, ja. Aber Weinhold hat jetzt bei der Nationalmannschaft abgesagt, will im Sommer fit werden. Und ich gehe davon aus, dass Duvnjak schon im September wieder voll bei uns ist. Momentan sieht es sehr gut aus bei ihm. Die zweite große Kritik betraf das Auftreten der Mannschaft...
... und die ist völlig berechtigt. Das war auch das, was mich als Trainer am meisten geärgert hat. Das war zuvor nie ein Charakter dieser Mannschaft, sich einfach aufzugeben wie zum Beispiel in Paris. In diesem Spiel war ein Christian Dissinger Sinnbild für die ganze Mannschaft: Zu viele waren nur mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Wenn dann die Leute nach verworfenen Bällen teilnahmslos zurücklaufen, ärgert einen das so richtig. Da habe ich die Spieler gefragt, ob sie überhaupt begreifen, wo sie gerade spielen. Diese Kritik war mehr als gerechtfertigt. THW-Geschäftsführer Thorsten Storm hat Gespräche mit dem kompletten Umfeld angekündigt. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Viele Dinge im Training betreiben wir schon sehr lange sehr intensiv. Was wir viel besser aufstellen müssen, ist, wie die einzelnen Bereiche unserer medizinischen Betreuung ineinander greifen. Das war nicht immer ideal. Das muss besser koordiniert werden. In Sachen Training denke ich darüber hinaus, dass kaum ein Verein so wissenschaftlich aufgestellt ist wie wir. Vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass mit der Rückkehr von Aron Palmarsson ihr Puzzle vollständig wäre. Nach unseren Informationen wird sich Palmarsson dem FC Barcelona anschließen. Welches Teil fehlt jetzt noch im Puzzle?
So ein Puzzle ist nie komplett. Wir suchen aktuell noch einen Linksaußen. Im kommenden Jahr kommt Hendrik Pekeler noch hinzu, den wir gern schon jetzt gehabt hätten, weil unsere Abwehr schon ein bisschen wackelig ist. Und früher oder später brauchen wir noch einen Halbrechten. Dann steht das Gerüst. Damit können wir um die Meisterschaft und um den Einzug ins Final Four in der Champions League spielen. Freuen Sie sich auf den Sommer? Es könnte ein ruhiger Sommer werden, wenn da nicht die Diskussion um Andreas Wolff wäre.
Ich hoffe, dass es ein Sommer wird, in dem ich nicht ständig wegen neuer Probleme angerufen werde. Und Andi hat viel leicht nicht genau nachge dacht, was er da sagt. In Gesprächen mit mir hat er gesagt, dass er gar nicht vor hat, zu gehen. (Das Interview führte Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 24.06.2017, Foto: Sascha Klahn)