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KN: 60 Stunden für 60 Minuten

Champions League

KN: 60 Stunden für 60 Minuten

Brest. 16 Stunden und 30 Minuten dauerte die Anreise der Zebras nach Brest, die etwas kürzere Rückreise teilte sich der THW Kiel etwas entspannter ein: Nach dem Spiel beim HC Meshkov gab es in Brest noch Abendessen, anschließend ging es nach Minsk. Der Rückflug nach Deutschland wurde da beinahe schon zum angenehmen Teil.

Ein Handball-Auswärtsspiel der besonderen Art

Freitag, 19.30 Uhr, Ankunft am Flughafen Minsk. Probleme bei der Passkontrolle gibt es keine, weder für die Zebras noch für mich, den mitreisenden Journalisten. Im Gegensatz zu den weißrussischen Behörden, die mir für die Einreise mit Akkreditierung und Visum eine wochenlange Hängepartie geliefert haben, die entfernt an die Asterix-Episode "Asterix erobert Rom" mit Passierschein A 38 erinnert, hat mir der THW aufgrund der außergewöhnlichen Reise ausnahmsweise eine befristete Aufenthaltsgenehmigung im Tross der Zebras erteilt. Geteiltes Leid ist eben halbes Leid, wobei das zu Beginn der Reise nur bedingt stimmt: Auf dem Weg von Hamburg nach Frankfurt stuft mich die Lufthansa wegen einer offenbar überbuchten Economy-Klasse in die Business Class hoch. Dort sitze ich nun mit meinen 1,74 Metern, während sich die 2-Meter-Riesen in der Holzklasse stapeln - es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass ich zur Zielscheibe des Spotts werde, als alle THW-Akteure nacheinander an meinem Sitzplatz vorbeikommen. "Du glaubst ja wohl nicht, dass du mit uns in Weißrussland mit dem Bus fährst", sagt THW-Coach Alfred Gislason breit grinsend.

Doch, darf ich. Und finde mich nach dem Flug von Frankfurt nach Minsk auf einer schnurgeraden Autobahn nach Brest wieder, um die herum bis auf vollmond-schimmernde Dunkelheit nichts zu sehen ist - es sei denn ein hell erleuchteter Zebrastreifen kreuzt die vierspurige Strecke. "Die nächste Stadt ist Brest", sagt Juri, Abgeordneter des Gastgeberklubs HC Meshkov. Und die liegt rund 400 Kilometer entfernt, sogar die russische Grenze ist näher dran. Also: Beschäftigungen finden. Assistenztrainer Christian Sprenger betreibt am Laptop erst Video-Arbeit für seine U 23, gönnt sich danach zur Entspannung "Mission Impossible 3". THW-Keeper Andreas Wolff ist nur hinter Buchdeckeln zu erahnen, der Keeper verschlingt Lars Keplers Krimi "Hasenjagd". "Für so ein Buch brauche ich wenig mehr als einen Tag", sagt die Leseratte. "Ich habe in den letzten drei Wochen 17 Bücher gelesen - auf Reisen hat man Zeit."

Andere Zebras wie Kreisläufer Patrick Wiencek versuchen, so viel Schlaf wie möglich zu bekommen, lassen sich von Musik berieseln. Und werden auch nicht aus der Ruhe gebracht, als der Busfahrer nach zwei Stunden Fahrt auf einem kleinen Rastplatz intensiv am rechten Hinterreifen herumschraubt. Als ich wenig später endgültig nicht mehr sitzen kann und ich das Gefühl habe, all mein Blut würde sich in meinen Beinen befinden, kann ich den Begriff "Reisestrapazen" besser nachvollziehen als je zuvor. Um 1.30 Uhr Ortszeit rollt der Bus auf den Vorplatz des Hotels Hermitage in Brest.

Die Nacht bis zum Spieltag ist kurz, nach dem Frühstück bittet Gislason seine Schützlinge zum Videostudium. Anschließend besuchen einige Spieler und das Trainerteam die Brester Festung. Beim Schlendern durch die riesige Anlage, die im Zweiten Weltkrieg gleich zwei Mal Schauplatz erbitterter Kämpfe wurde, treffen sich viele der Protagonisten des Abends (zufällig): THW-Coach Gislason plaudert mit seinem Meshkov-Kollegen Serhij Bebeschko, die litauischen Schiedsrichter Vaidas Mazeika und Mindaugas Gatelis nutzten die Zeit vor dem Anpfiff ebenso für einen Spaziergang mit historischer Note. Sich die Beine zu vertreten, ist nach dieser Anreise enorm wichtig, schließlich sollen die Zebras am Abend 60 Minuten lang Leistungssport auf die Platte bringen. Ich bin froh, dass ich nur meine Augen und Finger benutzen muss, die Beine würden das nicht mitmachen.

Die Nacht von Sonnabend auf Sonntag ist noch kürzer. Nach erneut gut viereinhalb Stunden Busfahrt ist Ankunft in Minsk um 3.30 Uhr, die Abfahrt zum Flughafen um 10.15 Uhr. Dazwischen einchecken, schlafen, frühstücken und so weiter. "Endlich wieder Busfahren", sagt Gislason beim Einsteigen. Mit dem Sarkasmus des Isländers schwingt viel Zufriedenheit darüber mit, immerhin die zwei Punkte von diesem Trip mitgenommen zu haben. Um 18.30 Uhr kehrt der THW-Bus mit den erfolgreichen Zebras nach Wellsee zurück. 60 Stunden sind seit der Abfahrt vergangen, 60 Stunden Reise für 60 Minuten Handball.

(Von Niklas Schomburg, aus den Kieler Nachrichten vom 06.11.2017, Foto: THW Kiel)