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Verrücktes Unentschieden im Top-Spiel gegen Szeged

Champions League

Verrücktes Unentschieden im Top-Spiel gegen Szeged

Man kann nicht unbedingt behaupten, dass die Königsklassen-Heimspiele des THW Kiel in dieser Saison keinen Unterhaltungswert hätten. Am Mittwochabend hätten die Spieler, Verantwortlichen und 5824 unglaubliche Fans auf die letzte Wendung eines unfassbaren Handball-Abends aber sicherlich gerne verzichtet. Von Beginn an: Die Zebras drehten einen Fünf-Tore-Rückstand in der ersten Hälfte in eine 17:14-Pausenführung, spielten sich dann mit ihren Zuschauern in einen Rausch und zu einer Sieben-Tore-Führung, um am Ende doch noch in ein 32:32 (17:14)-Unentschieden einwilligen zu müssen. Für die Kieler ist es nach den beiden Punkteteilungen in Berlin und Lemgo das dritte Remis innerhalb kürzester Zeit - und dieses Mal eines der Marke "besonders ärgerlich". Beste Kieler Torschützen waren Kreisläufer Hendrik Pekeler mit acht Treffern, Nikola Bilyk traf siebenmal für den deutschen Handball-Rekordmeister.

Angespannte personelle Situation

Immer eng markiert: Domagoj Duvnjak

Der THW Kiel musste einmal mehr auf seine Rückraum-Asse Sander Sagosen und Steffen Weinhold verzichten, die nach einem Impfdurchbruch aller Voraussicht nach auch am Sonntag nicht mitwirken können. Zwar kehrte Rune Dahmke nach seinem Muskelfaserriss im Oberschenkel zurück ins Team, dafür musste allerdings Torhüter Niklas Landin nach 20 Minuten mit muskulären Problemen im Oberschenkel passen. "Mir gehen langsam die Spieler aus", kommentierte THW-Trainer Filip Jicha die personelle Situation nach der Partie mit einem Schulterzucken, "umso verärgerter bin ich, dass wir das Spiel noch aus den Händen gegeben haben." 

Schwieriger Start

Nikola Bilyk traf sieben Mal

In diese kamen die Zebras nur schwer hinein. Zwar legten die Kieler durch Linkshänder Harald Reinkind Führungen zum 1:0 und 2:1 vor, fanden dann aber zunächst keine Mittel gegen die spielfreudigen und beweglichen Pick-Angreifer. Magnus Landin glich noch zweimal ungarische Führungen zum 4:4 aus, dann zogen die Gäste davon, hatten mit Roland Mikler einen starken Torhüter zwischen den Pfosten und trafen aus dem Rückraum und über Linksaußen Frimmel. Nach 14 Minuten führten die Gäste mit 9:5. THW-Trainer Filip Jicha zog die Grüne Karte, stellte in der Auszeit die Abwehr um und setzte in der Offensive fortan auf das Sieben-gegen-sechs. Plötzlich bissen sich die Ungarn die Zähne an der starken Kieler Abwehr aus, der THW robbte sich heran, war auch im Angriff auf schnellen Füßen unterwegs und machte aus dem zwischenzeitlichen 5:10 durch drei Treffer des bärenstarken Nikola Bilyk, Patrick Wiencek und Harald Reinkind bis zur 20. Minute den 10:11-Anschlusstreffer. 

Kieler Fans entfachen einen Hexenkessel

Vorn wie hinten herausragend: Hendrik Pekeler

Spätestens als Miha Zarabec sich durch die Abwehr der Blauhemden tankte und zum 11:11-Ausgleich traf, kochte die Wunderino Arena. Die Fans waren begeistert vom Kieler Angriffsschwung, feierten defensiv jedes Stoppfoul, machten unglaublich Druck auf den Gegner und sorgten so für einen echten Hexenkessel. Aus diesem tankten die THW-Spieler Kraft und Energie, nach dem 12:13 in der 25. Minute war der Kieler 4:0-Lauf durch Pekeler, Niclas Ekberg, Bilyks Heber ins leere Pick-Tor und Ekbergs Tempogegenstoß zum 16:13 (28.) die Krönung einer großartigen Leistungssteigerung. Nach tollem Zarabec-Anspiel sorgte Hendrik Pekeler für den 17:14-Halbzeitstand.

THW Kiel wie im Rausch

Hielt auch einen Siebenmeter: Dario Quenstedt

Den Schwung der Schlussphase der ersten Hälfte nahmen die Zebras auch mit in den zweiten Durchgang. Die Kieler bestimmten das Spiel jetzt mit Zauberhandball und viel Tempo, rissen ihre Fans von den Sitzen, die ihrerseits alles dafür gaben, dem Kräfteverschleiss der Zebras mit ihrem Enthusiasmus entgegen zu wirken. Rauschartig wurde es, Quenstedt hielt einen Siebenmeter des Ex-Flensburger Radivojevic, Ekberg klaute frech ein Anspiel, Pekeler traf, Duvnjak traf, Bilyk jagte den Ball ins Netz, und Reinkind lieferte als Alleinunterhalter im rechten Rückraum ebenfalls regelmäßig ab. Als Niclas Ekberg nach einem Einläufer und kurz danach mit einem Tempogegenstoß nach einem fantastischen langen Pass von Domagoj Duvnjak zum 25:18 (42.) traf, schien der Weg für den vierten THW-Sieg in der EHF Champions League geebnet.

Kiel holt Szeged zurück

Harald Reinkind traf fünf Mal

Die Gäste aber hatten ihren Glauben an Zählbares nicht aufgegeben, und wurden auch von den Kieler wieder zurück ins Spiel geholt. Der THW scheiterte nun reihenweise am in der 40. Minute gekommenen Alilovic im Szeged-Kasten, ließen im Anspiel an den Kreis letzte Konsequenz vermissen und schafften es nun auch nicht mehr, den wie wild zurückfightenden ungarischen Meister in der Abwehr zu stoppen. Fünf Minuten nach dem 25:18 brachte Martins Treffer zum 23:26 (46.) die Gäste wieder auf Tuchfühlung. Kiels Drei- oder Vier-Toreführungen hatte dennoch Bestand bis zur 52. Minute, als Magnus Landin nach Rückhand-Zuspiel von Miha Zarabec zum 30:26 traf. Dann aber hatte Kiels Angriff Ladehemmung, zumal die Zebras zwischen der 52. und 58. Minute durch Zeitrafen permanent in Unterzahl agieren mussten. Trotzdem: Als Harald Reinkind in der 56. Minute mit einem Rückraumkracher zum 32:29 einnetzte, war die Welt noch in Ordnung.

Pulver verschossen

Sorgte mit seinen Anspielen auf Pekeler für traumhafte Momente: Miha Zarabec

Allerdings sollte der THW Kiel damit sein Pulver verschossen haben: Banhidi und zweimal Picks starker Rechtsaußen Sostaric waren zur Stelle und glichen eine Minute vor der Schlusssirene zum 32:32 aus. Kiels letzter Versuch über Harald Reinkind endete zwei Sekunden vor der Schlusssirene in den Pranken von Alilovic. Gut nur, dass Szeged direkt nach dem Abschluss eine Auszeit nahm, während Alilovics Wurf sich ins verwaiste Kieler Tor senkte. Aber diese Wendung wäre dann doch des Schlechten eindeutig zuviel gewesen...

Spitzenspiel gegen den SCM am Sonntag

Die nächste große Herausforderung für die dezimierte Zebraherde steht bereits am kommenden Sonntag an: Ohne die beiden Rückraum-Strategen Sander Sagosen und Steffen Weinhold müssen die Kieler das Spitzenspiel in der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga gegen den bisher noch verlustpunktfreien SC Magdeburg bestreiten. "Wir brauchen am Sonntag auch den Druck von den Tribünen", hofft THW-Kapitän Patrick Wiencek gegen den in Bestbesetzung anreisenden SCM auf eine Stimmung, "die hoffentlich noch lauter als im Derby wird. Gemeinsam mit unseren Fans wollen Sonntag zeigen, wer in Kiel zu Hause ist!" Anwurf in der bis auf wenige Stehplätze ausverkauften Wunderino Arena ist um 14 Uhr, Sky überträgt live. In der EHF Champions League reisen die Zebras in der kommenden Woche in den Hexenkessel von Vardar Skoje (Mittwoch, 20:45h live bei DAZN und Servus TV Deutschland). Das nächste Königsklassen-Heimspiel bestreiten die Kieler am Donnerstag, 18. November, um 18:45 Uhr in der Wunderino Arena gegen die dänische Spitzenmannschaft Aalborg Handbold. Für diese Begegnung werden in der THW-FANWELT und online unter www.thw-tickets.de noch Karten in allen Kategorien angeboten. Doch jetzt bereitet sich die Handball-Haupstadt erst einmal auf den Liga-Kracher vor: Weiter geht's gegen den SCM, Kiel! 

EHF Champions League, 5. Spieltag: THW Kiel - Pick Szeged: 32:32 (17:14)

THW Kiel: N. Landin (1.-20., 3 Paraden), Quenstedt (20.-60., 7/1 Paraden); Ehrig, Duvnjak (1), Reinkind (5), M. Landin (4), Wiencek (1), Ekberg (4/1), Ciudad (n.e.), Wäger (n.e.), Zarabec (2), Horak, Bilyk (7), Pekeler (8); Trainer: Jicha
Pick Szeged: Mikler (1.-40., 7 Paraden), Alilovic (40.-60., 4 Paraden); Tönnesen (2), Bodo (3), Martins (4), Henigmann, Radivojevic (2), Sostaric (5), Frimmel (3), Banhidi (3), Garciandia (4), Rosta, Mackovsek (4), Blonz (2); Trainer: Pastor

Schiedsrichter: Boris Mandak / Mario Rudinsky (SVK)
Zeitstrafen: THW: 4 (Pekeler (10.), Reinkind (50.), Ehrig (52.), Ekberg (56.)) / Szeged: 3 (Tönnesen (14.), Bodo (26.), Henigman (49.))
Siebenmeter: THW: 1/1 / Szeged: 1/0 (Quenstedt hält Radivojevic (37.))
Spielfilm: 2:1 (2.), 2:3, 4:4, 5:6 (9.), 5:10 (15.), 7:11 (17.), 11:11 (22.), 13:13 (25.), 16:13 (28.), 17:14;
19:15 (32.), 19:17 (34.), 23:17 (38.), 25:18 (41.), 25:21 (44.), 26:23, 29:26 (51.), 32:29 (56.), 32:32.
Zuschauer: 5824 (Wunderino Arena, Kiel)

Stimmen zum Spiel

THW-Trainer Filip Jicha: Ich bin richtig enttäuscht über unseren schlechten Start und wie wir dieses Spiel zu Ende gebracht haben. Nachdem wir einen richtig guten Start in die zweiten Hälfte hingelegt haben, haben wir einfach nicht mehr gut agiert. Aber wenn man ein Unentschieden gegen Szeged als "Down" in einer Saison bezeichnet, hat man sehr hohe Ansprüche. Diese haben wir auch. Deshalb bin ich nicht zufrieden mit dem Punkt. Das war nicht die Art und Weise, wie wir spielen und arbeiten wollen. Wir hatten alles in unseren Händen, die Halle hat uns unglaublich geholfen, und dann haben wir das wieder weggeworfen. Deshalb ärgere ich mich so. Aber das ist Handball, und deshalb müssen wir das jetzt auch runterschlucken, uns auf Magdeburg konzentrieren, arbeiten und gemeinsam kämpfen. So langsam gehen mir allerdings die Spieler aus. Niklas Landin hatte mir früh angezeigt, dass er eine muskuläre Verletzung hat und nicht mehr ins Tor sprinten kann, deswegen konnte er nicht mehr spielen.

Szegeds Trainer Juan Carlos Pastor: Das war ein mysteriöses Spiel. Wir starten sehr gut, dann wechselt Kiel auf das 7 gegen 6, und wir verlieren komplett die Kontrolle über die Partie. Unser Start in die zweite Hälfte war richtig schlecht, aber dann kommen wir zurück. Alle diejenigen, die sagen, unsere Gruppe sei schwächer als die andere, liegen komplett falsch: In unserer Gruppe ist jedes Spiel wie ein Krieg. Nach der Heim-Niederlage gegen Elverum war das heute ein sehr wichtiger Punktgewinn in einer fantastischen Atmosphäre. Ich möchte mich bei Filip für die Aktion in der ersten Halbzeit entschuldigen, das war nicht das Fairplay, das wir zwischen beiden Mannschaften pflegen. Beide Teams wollten wischen lassen, aber es kam einfach kein Pfiff. Und Bodö hätte auch nicht mehr abspielen können, weil Zeitspiel drohte.
Filip Jichas Antwort: Das ist alles in Ordnung. Auf der anderen Seite zählte ein klares Tor von euch nicht, auch in dieser Hinsicht ging das Spiel also unentschieden aus. 

Szeged Mittelmann Miguel Martins: Man hat gesehen, dass hier heute zwei Mannschaften auf dem Platz standen, die unbedingt das EHF Final4 erreichen wollen. Beide hatten mit Verletzungen zu kämpfen, aber trotzdem sind wir richtig gut in diese Partie gekommen und lagen schon mit fünf Toren vorn. Dann ist Kiel davongezogen, aber wir feierten dann ein richtig schönes Comeback. An diesem Ort ist es nicht leicht, zu punkten. Deshalb ist das Unentschieden für uns wie ein Sieg. 

THW-Rückraumspieler Nikola Bilyk: Wir sind zurück gekommen, nachdem wir überhaupt nicht in die Partie gefunden hatten. Das ist auch der Grund, warum dieses Unentschieden so weh tut. Auch wenn uns mit Szeged eine großartige Mannschaft gegenüber stand, hätten wir dieses Spiel nach Hause bringen müssen. W

THW-Toptorschütze Hendrik Pekeler: Das Spiel kurz zusammengefasst: Wir haben 15 Minuten richtig schlecht gespielt und dann noch einmal die letzten fünf Minuten.