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EM 2018: Der Tag danach

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EM 2018: Der Tag danach

Varaždin. Der Deutsche Handballbund (DHB) hält nach dem enttäuschenden Abschneiden als Neunter der Europameisterschaft in Kroatien an Bundestrainer Christian Prokop fest. Am frühen Donnerstagmorgen reisten die Spieler via Zagreb und Wien oder Frankfurt in die Heimat zurück. Währenddessen stellte sich die DHB-Spitze im Teamquartier in Sveti Martin na Muri bei Varaždin noch einmal den Medien. Nach dem zweiten Reinfall nach der WM vor einem Jahr kündigte DHB-Vizepräsident Bob Hanning nun "innerhalb der nächsten vier bis sechs Wochen" eine knallharte Analyse an, sagte aber auch: "Der Trainer steht nicht zur Disposition."

Fokus richtet sich besonders auf den Bundestrainer

Mit leerem Blick und mitleiderregendem Unbehagen saß Prokop auf dem Podium, eingerahmt von Hanning und DHB-Präsident Andreas Michelmann. Fehler gestand der 39-Jährige nach seinem ersten Turnier als DHB-Chefcoach nicht ein, rechtfertigte erneut die anfängliche Nichtnominierung Finn Lemkes und schloss einen Rücktritt aus freien Stücken gereizt aus: "Die Chemie zwischen mir und der Mannschaft war nicht so wie dargestellt. Wir hatten ein stimmiges Verhältnis. Auch die Zeitungen, die hier sitzen, haben mich als den Messias, den Julian Nagelsmann des Handballs betitelt. Jetzt denke ich an Rücktritt? Wir sollten schon irgendwo realistisch bleiben." Prokop, den der DHB mit einer Ablösesumme in Höhe von 500 000 Euro vom SC DHfK Leipzig losgeeist und mit einem Fünfjahres-Vertrag bis 2022 ausgestattet hatte, unterstrich, dass er "wichtige Erfahrungen, auch negative, die man in Zukunft noch sehen wird", gesammelt habe und noch "Großes" mit der Mannschaft vorhabe.

Beim 27:31 gegen Spanien waren die Bad Boys am Vorabend krachend gescheitert. "Ich bin absolut schockiert. Wir haben uns teilweise aufgegeben und insgesamt eine enttäuschende EM gespielt", kritisierte Torwart Andreas Wolff. Mit öffentlicher Kritik hielt sich die Mannschaft, die während des Turniers mit Führungsstil und Spielsystem gefremdelt hatte, noch zurück. "Wir haben als eine Mannschaft verloren, zur Mannschaft gehört auch der Trainer. Die Frage nach Christian stellt sich nicht. Aber der Weg bis zur Heim-WM ist noch lang", sagte Abwehrchef Finn Lemke. Eine Medaille bei der Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark 2019 sowie möglichst Gold bei Olympia 2020 in Tokio hat der DHB als langfristige Ziele ausgegeben. "Das ist eine unverhandelbare Vision", sagte Hanning. "Das Ziel ist es, mit Christian Prokop weiterzumachen. Aber auch ich bin sehr traurig. Wir haben jetzt innerhalb von zwölf Monaten bei zwei Großereignissen nicht die Zielaufgaben erfüllt."

Genau darüber ist mit dem Ausscheiden eine heiße Diskussion in der Heimat entbrannt. "Man muss kein Handball-Fachmann sein, um zu sehen, dass es zwischen Trainer und Mannschaft nicht richtig gepasst hat", sagte Michael Roth, Trainer des Bundesligisten MT Melsungen. Unterstützung erhielt Hanning von Ex-Bundestrainer Heiner Brand. "Man sollte jetzt nicht anfangen, an Christian Prokop zu zweifeln", sagte die deutsche Handball-Ikone. "Jeder Trainer zahlt mal Lehrgeld. Das ist im Vorjahr Dagur Sigurdsson und zuvor auch mir passiert." Uwe Schwenker, Präsident des Liga-Verbandes HBL, mahnt zur Gelassenheit: "Wir sollten nicht alles verfluchen und verdammen. Die Eindrücke sind noch zu frisch, als dass man aus der ersten Emotion heraus Urteile fällen sollte." Wetzlar-Coach Kai Wandschneider mutmaßt: "Da scheint irgendetwas führungsmäßig nicht gestimmt zu haben. Die Kommunikation scheint in allen Bereichen gestört zu sein." Viktor Szilagyi, neuer Sportlicher Leiter des THW Kiel, ergänzte: "Die fehlende Konstanz zog sich wie ein roter Faden durch das Turnier." Besonders auf der Spielmacher-Position hatte sich das DHB-Team als nicht konkurrenzfähig erwiesen.

Prokop will sich, wenn er im Amt bleibt, künftig noch weniger kompromissbereit zeigen. "Ich habe eine klare Vorstellung von einer Spielphilosophie. Ich möchte eine Mannschaft sehen, die mit viel Tempo spielt und nicht ausrechenbar ist." Genau diesem Anspruch wurde die Mannschaft in Kroatien nicht gerecht und muss nun in den kommenden zwölf Monaten ohne Pflichtspiele - Deutschland ist als Gastgeber direkt für die WM qualifiziert - die Krise überwinden. Frankreich-Legionär Uwe Gensheimer, der als Kapitän in den vergangenen zwei Wochen besonders in der Kritik stand, versprühte am Donnerstagmorgen bei der Abreise verhaltenen Optimismus: "Ich glaube nicht, dass wir als Mannschaft jetzt zusammenbrechen."

(Von Tamo Schwarz, aus den Kieler Nachrichten vom 26.01.2017, Foto: Sascha Klahn)