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EM 2018: Deutschland in der Hauptrunde

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EM 2018: Deutschland in der Hauptrunde

Wer vor dem zweiten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der "EHF EURO 2018" noch kein Handball-Fan war, dürfte dies nach dem packenden Match des Titelverteidigers gegen den WM-Dritten Slowenien sein - denn diese 60 Minuten plus "Verlängerung" boten alles, was den Handball ausmacht. Eine erste Halbzeit, in der die deutsche Mannschaft den Slowenen um den überragenden Kieler Miha Zarabec hoffnungslos unterlegen war und mit einem 10:15 in die Kabine ging. Einen furiosen Fight beider Teams im zweiten Durchgang, bei dem die Mannschaften keinen Zentimeter Hallenboden kampflos aufgaben. Eine Aufholjagd der "Bad Boys", die in eine eigene Führung mündete. Eine Schlussphase, die dramatischer, packender nicht hätte sein können. Inklusive Videobeweis und dem final verwandelten Siebenmeter von Tobias Reichmann zum 25:25. Ein Unentschieden, das der deutschen Mannschaft bei der EM die Hauptrunde bescherte und noch alle Optionen offen lässt.

Slowenen dominieren die erste Hälfte

Slowenien kaufte mit seiner aggressiven Abwehr den Bad Boys den Schneid ab

Die deutsche Mannschaft ging mit dem sicheren Gefühl des deutlichen Auftaktsieges gegen Montenegro in die Partie gegen die Slowenen, die im zweiten Spiel unbedingt einen Sieg holen wollten. Vielleicht war sich die DHB-Auswahl auch zu sicher, denn der WM-Dritte dominierte von Beginn an die Begegnung. Vor allem Miha Zarabec war von der deutschen Defensive nicht in den Griff zu bekommen. Der wieselflinke Kieler Regisseur ließ die deutsche Abwehr wie Fahnenstangen wirken, suchte selbst den Weg zum Tor, holte Siebenmeter heraus oder bediente die frei am Kreis auftauchenden Mitspieler. Der deutsche Angriff suchte hingegen seinen Rhythmus. Satte elf Minuten dauerte es, bis Philipp Weber erstmals aus dem Feld treffen konnte. Zuvor hatten die Bad Boys vier Siebenmeter zugesprochen bekommen, von denen Kapitän Uwe Gensheimer, am Ende mit sieben Treffern erfolgreichster Werfer, allerdings nur zwei verwandelte. Die Folge: Slowenien drohte, den Titelverteidiger zu überlaufen. In der 14. Minute nahm Bundestrainer Christian Prokop beim Stand von 3:6 seine erste Auszeit, stellte in der Defensive um und brachte Janke im Angriff. Zwölf Minuten später legte Prokop wieder den grünen Karton auf den Kampfrichter-Tisch - da hatte Slowenien durch Bezjak und Kavticnik aus einem 10:7 ein 12:7 gemacht. Doch auch diese 60 Sekunden genügten nicht, um die Reihen der Bad Boys zu schließen. Janc und Bezjak erhöhten auf Sechs-Tore-Vorsprung, Weber und Steffen Weinhold mit der Pausensirene verkürzten - immerhin. Mit dem 10:15 war die deutsche Mannschaft beim Gang in die Kabinen noch gut bedient.

Packender Fight in der zweiten Hälfte

Bei der letzten Aktion von Drux stehen drei Slowenen im Anwurfkreis

Es musste also etwas passieren aus deutscher Sicht. Prokop setzte nun auf seine erfahrenen Kräfte, ließ Weber Regie führen, brachte mit Wiencek und Pekeler zwei Kreisläufer auch im Angriff, um Lücken im aggressiven wie dichten Deckungsverbund der Slowenen zu reißen. In der eigenen Abwehr hatte der Bundestrainer seinen Mannen deutlich mehr Bewegung verordnet, gemeinsam sollte die DHB-Auswahl so den Rückraum des WM-Dritten - und hier besonders Zarabec und Bezjak - in den Griff bekommen. Und dieser Plan schien aufzugehen: Fünf Minuten lang kassierte die deutsche Mannschaft nach Wiederanpfiff keinen Treffer und nutzte dies, um zweimal durch Groetzki zu verkürzen. Beim 12:15 waren die "Bad Boys" wieder in Reichweite - und die Aktionen wurden zunehmend sicherer. Nach Mlakars 17:13 waren es Pekeler und Gensheimer, die das 15:17 erzielten. Doch Slowenien konterte durch Janc und Kavtcinik, lag wieder mit vier Toren in führung (42.). Dann wurde es erstmals richtig turbulent und emotional: Gensheimer hatte einen langen Heinevetter-Pass aufgenommen, den Gegenstoß aber mit einem Trickwurf weit am Tor vorbeigezogen. Allerdings hatte Kavticnik den DHB-Linksaußen kurz vor der Ballannahme touchiert - das litauische Unparteiischen-Gespann entschied auf Siebenmeter für Deutschland und eine Zwei-Minuten-Strafe für den ehemaligen Kieler Rechtsaußen. Darüber echauffierte sich Sloweniens Coach Veselin Vujovic derart lautstark und gestenreich, dass den Schiedsrichter nichts anderes übrig blieb, als auch gegen die Bank eine Zeitstrafe zu verhängen. Urplötzlich bot sich der deutschen Mannschaft in 6:4-Ãœberzahl die Möglichkeit, dem Spiel doch eine Wende zu geben.

Deutschland geht in Führung

Minutenlang berieten sich die Unparteiischen vor dem Videoschirm

Reichmann verandelte den Siebenmeter zum 17:19, hinten ackerte Wiencek in Weltklasse-Manier Bezjak den Ball aus der Hand, vorne holte Häfner einen Siebenmeter heraus: Nur noch 18:19. Und als Wiencek sich dann einen Steal im Hechtsprung sicherte und Gensheimer den folgenden Angriff zum Ausgleich verwandelte, standen nicht nur die schwarz-rot-goldenen Fans in Zagreb Kopf: Beim Public Viewing im Kieler Handballbahnhof glich der Jubel einem Urschrei aus unzähligen Kehlen. Denn eine Viertelstunde vor dem Ende war die DHB-Auswahl am Drücker - auch wenn Zarabec seine Farben erneut in Führung brachte. Gensheimer glich aus, und in Unterzahl markierte Hendrik Pekeler das 21:20 - nach 50 Minuten lag die deutsche Mannschaft erstmals vorn! Doch abschütteln ließen sich diese Slowenen nicht. Bezjak und Cingesar warfen die in Weiß-Grün spielenden Slowenen wieder in Front, und als Gensheimer einen Ball von Außen am Kasten vorbeijagte, schien der WM-Dritte endgültig auf die Siegerstraße einzubiegen. Zarabec vernaschte Weber zum 23:21 - 210 Sekunden vor dem Ende sah es düster aus für die "Bad Boys". Doch auch die hatten längst in den Kampf-Modus gestellt, Häfner und Groetzki glichen aus. Kavticnik verwandelten einen von Roschek verursachten Siebenmeter zum 24:23 - da waren noch 57 Sekunden zu spielen. 57 Sekunden, die zu Minuten werden sollten.

Dramatische "Verlängerung" mit Videobeweis

Tobias Reichmann jubelt über den Ausgleichstreffer

Der Reihe nach: Drux gelingt elf Sekunden vor der Schluss-Sirene der Ausgleich, die Slowenen spielen sofort eine Schnelle Mitte, gegen den zurückeilenden Heinevetter hat Janc die besseren Karten: Sein Wurf trudelt mit Heinevetter drei Sekunden vor dem Ende zum 25:24 über die Linie. Slowenien jubelt, einige Spieler reißen sich noch im Zurücklaufen das Trikot über den Kopf. Heinevetter spielt den Ball zu Drux, der mit einem Verzweiflungswurf an Blagotinseks Block scheitert. Aus. Ende? Nein, dieses Spiel erfährt eine Verlängerung. Gatelis/Mazeika ziehen den Videobeweis zu Rate, denn gleich drei Slowenen halten beim Anwurf von Drux den Drei-Meter-Abstand nicht ein, einer davon ist Blagotinsek. Verschiedene Perspektiven werden angesehen, und am Ende von minutenlangen Diskussioen entscheiden die Unparteiischen auf eine Rote Karte für den Slowenen und einen Siebenmeter für Deutschland. Tumulte brechen aus, Trainer Vujovic stellt sich demonstrativ in den Kasten, will die Ausführung des Strafwurfes verhindern. Tobias Reichmann übernimmt Verantwortung und trifft satt in die linke untere Ecke - Ausgleich. Aus! Durch diesen Punktgewinn sicherten sich die "Bad Boys" den vorzeitigen Hauptrunden-Einzug. Mit einem Erfolg gegen Mazedonien im abschließenden Gruppen-Endspiel am Mittwoch können sie sogar noch den ersten Platz erreichen. Die Partie wird um 18:15 Uhr angepfiffen, die ARD zeigt sie live. Beim Public Viewing im Kieler Hauptbahnhof können Handball-Fans gemeinsam zittern. Vor dem Anpfiff werden die beiden "Zebras" Ole Rahmel und Emil Frend Öfors zum Talk erwartet.

Statistik, EM, 2. Spieltag: Slowenien - Deutschland: 25:25 (15:10)

Deutschland: Wolff (Kiel, 1 Parade), Heinevetter (Berlin, 5 Paraden); Gensheimer (Paris/7/2), Wiencek (Kiel), Reichmann (Melsungen/4/3), Pekeler (Rhein-Neckar Löwen/2), Weinhold (Kiel/2), Roscheck (Leipzig), Weber (Leipzig/3), Fäth (Berlin), Groetzki (Rhein-Neckar Löwen/4), Häfner (Hannover/1), Janke (Leipzig), Kühn (Melsungen/1), Kohlbacher (Wetzlar), Drux (Berlin/1).

Slowenien: Skok (1 Parade), Lesjak (9/3 Paraden); Blagotinsek (4), Verdinek, Marguc, Kavticnik (3/1), Janc (4/1), Potocnik, Cingesar (1), Zarabec (5), Bezjak (3), Grebenc, Zabic, Mackovsek (4), Mlakar (1), Suholeznik

Schiedsrichter: Gatelis/Mazeika (Litauen)
Zeitstrafen: Slowenien: 8 (Blagotinsek, 2x Kavticnik, Zarabec, Bezjak, Mlakar, Suholeznik, Bankstrafe) ; Deutschland: 3 (Wiencek, Weinhold, Kohlbacher)
Rote Karte: Blagotinsek (60., Foulspiel)
Siebenmeter: Slowenien: 4/2 (Heinevetter hält Janc, Janc an die Latte); Deutschland: 9/5 (Lesjak hält 2x Gensheimer und Reichmann, Gensheimer Latte)
Zuschauer: 6500 in Zagreb